Darban Windmantel
Ursprung: Aragir
Geschichten aus der Frühzeit Aragirs
Es begab sich, da ein Waldläufer der Undwälder am Rande der Ornhöhen, als diese noch unerforscht und noch düsterer waren, als sie es heute sind, nach einem neuen Aufstieg ins Gebirge suchte. Er wollte einen Pfad finden, den er von weit über dem Land, nämlich aus einem Luftschiff gesehen zu haben glaubte und nun war er viele Tage zu Fuß durch die Wälder gereist, um eben diesen Stieg zu entdecken. Er vermutete sein Ziel einen Tag nördlich an der Stelle, wo die große Stadt Tablis oben am Rande der Klippen ruhte, doch hatte er diese Stelle nun schon mehrmals abgesucht und fand nicht was er suchte. So hatte er beschlossen den Klippenrand weiter und weiter nach Norden zu begehen und so lange zu forschen, bis er endlich den gesuchten Pfad zu Gesicht bekäme. Seine Beharrlichkeit trug schließlich, nach vielen Wegstunden, Früchte. An einem späten Nachmittag in der Frühkälte, entdeckte er zwischen dichten Dornensträuchern stehend, weit über sich ein schmales graues Band in der Vegetation der Klippe. Weiter oben, wo der Fels sichtbar wurde, konnte er sogar den helleren Einschnitt zwischen den Steinen erkennen. War dies ein Wildstieg oder hatten Slaile einen Weg angelegt? Wenn, dann mussten sie es lange vor seiner geburt und vielleicht sogar vor Tablis getan haben, denn in den Karten der Hallen des Wissens war hier kein Weg eingetragen. Darban, so der Name des Waldläufers, freute sich. Wie würde man ihn feiern, wenn er diesen Stieg kartographierte und den Wissenswahrern auf ihre staubigen Tischplatten legte. Lieder würden sie zu seinen Gunsten singen. Er lachte und entheddern sich aus den Dornen. Es war spät und er konnte unmöglich in der Nacht einen unbefestigten Pfad in die Klippen hinauf begehen. Gleich am nächsten Morgen aber, Munz weckte ihn trotz der Dunkelheit des Undwaldes, packte er seine sieben Sachen auf seinen Rücken und kämpfte sich mühsam durch die Hecken. Als er das Gestrüpp hinter sich gelassen hatte, grenzten Bäume an den Fels und der Weg wurde bald steiler und steiler. Zuerst bog er nach Norden, dann in einer schnellen Schleife wieder nach Süden, nur um über eine kleine Schlucht – er musste springen – erneut nach Norden zu gehen. Der Aufstieg war schwer und Darban erkannte nun, dass es sich bei dem Stieg tatsächlich um den Weg von Tieren handeln musste. Er fand die Losung von Hornwild und auch deren Spuren und einmal entdeckte er weit über sich ein Rudel dieser Tiere in den fast senkrechten Felswänden stehen. Er lachte ihnen zu und kletterte weiter, doch die majestätischen Tiere mahlten nur mit ihren Kiefern und ignorierten das sich unter ihnen abmühende Männlein.
So verging der Tag und Darban hatte nicht wenig Mühe den anstrengenden Weg zu meistern. Als Munz im Westen hinter den Bäumen verschwand, musste der Waldläufer einen Platz zum Schlafen finden, doch der Pfad war sehr schmal und es war nicht einfach sich hier zur Ruhe zu betten. Schließlich fand er eine Kuhle, die verhindern würde, dass er bei einer unachtsamen Bewegung in die Tiefe rollen würde. Er versuchte sich so bequem wie möglich einzurichten und zündete sich, die letzten Strahlen Munz genießend, eine Pfeife an. Wie er aber so da saß und mit zusammengekniffenen Augen in das rote Licht am Horizont blinzelnd seinen Tabak genoß, kam plötzlich und völlig unerwartet ein Wind den Berg herunter und zerzauste dem Mann die Haare. Ja beinahe hätte das Wehen Darban ganz und gar in die Tiefe gerissen. Nur mit Mühe vermochte er sich an den scharfen Steinen festzuhalten und tatsächlich verletzte er sich auch dabei. Der Wind aber zog nicht einfach ab. Im Gegenteil heulte er in die Tiefe, drehte um und kam mit einem ohrenbetäubenden Fauchen wieder zurück. Der Himmel hatte sich grau gefärbt und dichte Wolken hatten die letzten Strahlen Munz verdunkelt. Darban konnte kaum sehen was um ihn herum geschah und er schrie, als der Wind ihn erneut traf und diesmal auf die andere Seite seiner Kuhle schleuderte. So ging es drei Mal und da rief endlich Darban: »Herr Wind, was ist es? Was ist es was ich getan? Musst du mich den Berg hinab schleudern und mein Blut vergießen?«
Da traf ihn der Wind wieder und wieder und erst als der Waldläufer fast erschlagen am Rande seiner Kuhle lag, sich nicht mehr regen konnte und besinnungslos ward, war es dem Wind genug und triumphierend zog er sich in die Lüfte zurück.
Darban aber erwachte unter Schmerzen. Er war nicht abgerutscht und fand sich in einer schlimmen Lage. Seine Hände waren zerschunden, seine Stiefel hatten keine Versen mehr und all sein Hab und Gut war in die Tiefe gestürzt. Er wischte sich den Staub aus den Augen und da lag vor seinem gesicht sein zerbrochenes Pfeiflein. Da packte ihn die Wut und mit geballter Faust zürnte er dem Wind. Er würde sich nicht zurückhalten lassen. Dies hier ist ein Pfad der Erde, keiner der Winde und er Darban, würde diesen Pfad zu Ende gehen. Daran sollte ihn kein Wind hindern, egal wie sehr dieser stürmen mochte. Und so richtet er sich auf, klopfte seine verbliebenen Kleider aus und stopfte sich Gräßer in die Stiefel um deren Löcher zu flicken. Dann ging er hinkend den Stieg weiter und weiter, kletterte und nach einer Weile, als Munz und die Bewegung ihn aufgewärmt hatten, pfiff er sogar ein Lied. Er war eine Frohnatur und die Schönheit der Landschaft um ihn herum machte ihn stark. Ohne gute Stiefel kam er natürlich langsam voran und auch seine Hände schmerzten ihn sehr. Besser wurde es erst, als er einen kleinen sprudelnden Bergquell fand. Hier wusch er sich das Gesicht und kühlte seine Wunden. Danach war ihm wohler zumute und er ging schneller den Berg hinauf und auch wenn er nicht so forsch wanderte wie am Tage zuvor, gewann er doch an Höhe und gegen Abend, fand er sogar eine kleine Matte mit frischem Klee und gelben Blumen. Hier, unter einem verknoteten Baum, legte er sich nieder um zu ruhen. Er hatte sein Brot verloren, aber unterwegs einige Beeren und essbares Gras gesammelt und diese Früchte der Natur aß er nun dankbar.
Kaum war Darban eingeschlafen, da begann es zu regnen. Kein Wölkchen hatte er gesehen als er sich niedergelegt hatte, doch jetzt war der Himmel grau und dicke Wolken schoben sich genau über seinem Baum zusammen. Darban aber sah, dass es der Wind war, der die Wolken genau zu ihm geschoben hatte und da hob er die Faust und rief: »Herr Wind, sprich mit mir. Warum muss ich leiden?«
Der Wind aber zog von dannen und überließ den Wanderer der kühlen und nun nassen Nacht. Darban setzte sich unter seinen Baum. Er hätte nicht weit gehen müssen um einen trockenen Flecken zu erklimmen, doch er tat es nicht. Der Wind hätte die Wolken erneut verschoben und dies immer und immer wieder. Frierend sann Darban nach was er getan haben könnte die Elemente derart zu verärgern, doch er kam auf kein Ergebnis. Zu dieser Zeit kannte er sich wenig aus mit den Winden und wie hätte er wissen sollen, dass diese von Natur aus rachsüchtig und aufbrausend sind?
Am nächsten Morgen erwachte der Wanderer müde und keineswegs erfrischt durch den Schlaf auf nasser Erde. Er richtete sich auf, grüße die Mutter und machte seine ersten patschenden Schritte den Pfad hinan. Als er einen Felsgrat erreichte da ein Baum von weiter oben den Weg versperrte überlegte Darban wie er hier vorbei kommen sollte. Er hatte zwar keine Angst, doch die Stelle war nicht ungefährlich und er wollte nicht erneut stürzen. Wenn er versuchte über den Baum zu steigen, könnte der launige Wind ihn in die spitzen Äste drücken. Kletterte er um den Grat, könnte der Wind ihn erneut versuchen in die Tiefe zu stürzen. So oder so, war es gefährlich dich dem Zorn des Elementars auszusetzen. Da setzte sich Darban auf den steinigen Boden und sprach zur Mutter. Er beschrieb seine bange Situation und fragte sie, was sie ihm raten würde. Den Weg aufgeben wollte er nicht. So wartete er geduldig auf Antwort. Er aß seine letzten Beeren, kaute auf einer Wurzel und sah auf die unter ihm liegenden Undwälder hinab. So verging eine Weile, doch Darban wollte die Mutter nicht zur Eile bitten – er wusste, wie beschäftigt sie gerade in dieser Jahreszeit war. Also wartete er noch ein Stündchen und dann noch eines und da endlich schickte die Mutter ihm – auch wenn sie nicht selbst zu ihm kam – doch einen Boten in Form eines kleinen grünen Vögelchens. Darban bedankte sich bei der Mutter und sah dem kleinen Vogel zu. Dieser, nicht faul, hüpfte und flog, flog und hüpfte so lange an einer bestimmten Stelle des Baumes hin und her, bis Darban endlich verstand, was die Mutter ihm hier zeigen wollte. Da war ein Loch im Stamm alten des Baumes!
Darban trat näher heran und erkannte, dass er ohne weiteres in den hohlen Baum hinein schlüpfen konnte. Als er es gleich versuchte, sah er voll Freude, dass der ganze Stamm hohl war und er ohne Mühe durch ihn hindurch kriechen konnte. Und schon war der Waldläufer auf dem Weg auf die andere Seite. Er lachte, als der Vogel außen an die Rinde pickte und ihn immer wieder aufforderte schneller zu machen. Doch plötzlich hörte das Picken und Zedern auf und stattdessen hörte Darban erneut das wilde Heulen des Windes. Zornig schlug dieser gegen den Baum, versuche ihn gar aufzuheben und tobte dabei so sehr, dass es Darban angst und bange wurde. Doch der Schutz hielt. Der Wind mochte fauchen und schleudern, heulen und schlagen, nicht einmal als er versuchte ebenfalls in das Loch zu stoßen konnte er Darban erreichen. Sicher kroch dieser auf der anderen Seite des Grates auf festen Boden und rief: »Herr Wind, diesmal wirst du meine Lage nicht verschlimmern. Es kann doch nicht gar immer nach deinem Willen gehen!«
Der Wind aber fuhr ihm tüchtig durch die Haare und zerraufte seine Kleidung, doch Darban lachte nur, denn er hatte nichts mehr zu verlieren außer seinem Leben und dieses war hier auf dem breiten Weg sicher vor dem Wind. Als er aber sah, dass er nichts auszurichten vermochte, zog sich der Wind zurück. Er würde Kräfte sammeln und auf eine bessere Gelegenheit warten. Er würde seinen Zorn nähren und gegen dieses Männlein obsiegen.
Darban schritt den Pfad weiter hinauf und immer höher kam er über die Wälder. Erst am Abend wollte er wieder ruhen und dieses Mal suchte er eine Stelle, wo der Berg überstand und ihn vor Nässe schützen würde. Da kam der Wind schnell herbei und schob wieder Wolken über den Waldläufer. Der Hang aber schützte diesen und Darban lächelte nur milde. Er hatte das kindliche Gemüt das zornigen Windes erkannt. Es war nichts böses an ihm. Schlicht übermütiger, kindlicher Zorn ließ ihn handeln wie er es tat.
Da sagte Darban: »Lass uns doch Freunde werden Wind. Warum willst mir Schlechtes? Ich kann dir Lieder vorsingen und Geschichten erzählen und wenn ich wieder unter den meinen weile, kann ich ihnen von deiner Stärke und deinem guten Herzen berichten.«
Der Wind schnaubte ob dieser Worte. Er wollte keine Lieder und Geschichten und auch keinen Ruhm. Einzig seinen Willen wollte er. Nichts auf der Welt war ihm wichtiger als dieser. So blies er heftiger als zuvor und riss an den Sträuchern, Bäumen und Steinen. Darban aber hielt stand und belächelte das Toben und da riss der Wind so sehr am Hang, dass ein großer Fels brach und zu Tale stürzte. Um Haaresbreite verfehlte der Steinschlag den Waldläufer und dieser konnte sich nur retten, indem er so schnell seine Füße ihn tragen wollten weiter und weiter hinauf rannte. Der Wind indes suchte den kleinen Mann und glaubte ihn weiter unten. Als er ihn dann doch oben wahrnahm, tobte er von neuem und schoss hinter seinem Opfer her. Darban rannte um sein Leben und da war ihm nicht mehr zum Lachen zumute. Gerade als der Wind ihn erreichte, fand er eine breite, flache Stelle im Berg, warf sich hernieder und hielt sich mit den Händen und Zehen an Gräsern fest. Flach an den Boden gedrückt versuchte er dem Wind keine Angriffsfläche zu bieten und biss die Zähne zusammen um dem Anstürmen zu widerstehen. Hin und her tobte da der Wind um Darban und endlich, als der Waldläufer schon aufgeben wollte, ließ das Stürmen nach. Da blieb der Wanderer erschöpft liegen, zitternd vor Anstrengung, Angst und verlorener Kraft. Zum ersten Male, war er sich seines Lebens unsicher. Wie sollte er dieser Wut nur entgehen?
Als er am nächsten Morgen erwachte, schien Munz auf ihn hernieder und wärmte sein Gesicht. Er sah sich um. Kein Wind war am Himmel und auf der Erde zu erkennen. Die Gräser bewegten sich nur leicht und das Laub der wenigen Bäumchen raschelte ganz leise in der Luft. Vögel zwitscherten und überhaupt war es ein ganz gemütlicher, schöner Morgen. Schnell erhob sich Darvan und machte sich auf den Weg und tatsächlich kam er weit hinauf, bis der Wind ihn erneut angreifen wollte. Es begab sich aber, dass Darban genau an einer Wegkehre am Rande zum Abrind stand, als er den Wind aus der Tiefe des Tales hinauf stürmen sah. Da nahm er all seinen Mut zusammen und wartete bis zur allerletzten Sekunde, da der Wind über den Felsgrat kommen musste und in diesem Moment, ließ sich der Waldläufer furchtlos über die Klippe fallen.
Der Wind aber traf auf Darban und wieder es zu wissen oder es zu wollen, warf er den kleinen Mann wieder hinauf und ins Leben zurück. Darban plumpste auf seinen Hintern und atmete schwer. Am ganzen Leibe zitterte er von dem Wagnis, dass er gerade überlebt hatte. Solch ein Kunststückchen hatte wohl noch keiner vor ihm ausprobiert. Er sah zum Wind empor und rief: »Herr Wind, wie den nun wohl? Willst du mir schlecht oder gut? Hast mich gar gerettet im letzten Moment.«
Der Wind aber pfiff um ihn herum, machte diese und jene Kapriolen und schließlich begriff er, was vorgefallen war. Er hatte dieses freche Männlein vor dem sicheren Tode bewahrt. Da entsann sich der Wind den uralten ehernen Regeln seiner Art und diese lauten: wer einem anderen das Leben rettet, der soll fortan sich um ihn kümmern. Sein Wohl gelte ihm ab dieser Minute wie sein eigenes bis zum Ende aller Tage. Da knurrte der Wind und beinahe hätte er sich versündigt, aber als er auf den kleinen Mann hernieder sah, wurde ihm zum ersten Male seit langer langer Zeit warm im Geiste. Er hatte ein Leben gegeben anstelle eines zu nehmen. Kein Steinschlag, keine Flut, kein Blitz und Umherwirbeln – ein einfaches Drücken vom Tod ins Leben – so war es geschehen und so würde er es für alle Zeiten in sich tragen.
Da wurde der Wind ganz ruhig und erhob sich über die Welt und alle Geister dieser sahen ihn an. Der Wind aber verbeugte sich vor seinem Schicksal und grimmig wie eh und je, fuhr er wieder herab und umspielte Darbans Arme. Von diesem Tag an, würde er dem kleinen Mann nicht mehr zürnen, denn er hatte ihm das Leben geschenkt.
Es dauerte nicht lange, da hatte der Wind Darbans Schuhwerk gefunden – denn Winde finden alles was sie suchen – und den alten Mantel und sogar die Pfeife auch. Und von dieser Stunde an schob der Wind Darban sanft den Berg hinauf und wurde sein ständiger Begleiter.
Hob Darban die Arme, fuhr der Wind in seinen Mantel und trug ihn wohin er wünschte. Rief Darban aber laut, so trug der Wind seine Worte wohin und soweit er wollte, und geriet Darban gar in Gefahr, sei es durch schlechte Tiere in den Wäldern oder durch Wegelagerer mit roten Augen, da fuhr der Wind zwischen diese und brachte ihnen das Fürchten bei.
So wurde der mutige Waldläufer zu Darban Windmantel, weil er es wagte, sein Leben ganz und gar dem Willen der wütenden Elemente zu überlassen.